Meisterschülerstudium
bei Prof. Hanns Schimansky
2001
Diplom Freie Kunst / Malerei, Kunsthochschule Berlin (KHB)
bei Prof. Hanns Schimansky
1995 – 2001
Studium Freie Kunst / Malerei, Kunsthochschule Berlin (KHB)
bei Prof. Werner Liebmann / Prof. Hanns Schimansky
1993 – 1995
Ausbildung Drucktechnik / Offsetdruck
1986 – 1989
Berufsausbildung als Betonwerker mit Abitur
1969
Geboren Ost-Berlin, eh. DDR
Lebt und arbeitet in Berlin↘︎ Vita herunterladen (PDF)
Gruppenausstellung „farbe, fläche, form“, Basement – Raum für Kunst, Berlin, 30.08. – 02.11.2024
Die Ausstellung farbe, fläche, form präsentiert eine Vielfalt künstlerischer Positionen, die unterschiedliche Generationen und Herangehensweisen an die Malerei vereinen. Diese Künstlerinnen und Künstler erweitern traditionelle Grenzen und erkunden neue Dimensionen des künstlerischen Ausdrucks, was in der Interaktion von Materialien, Techniken und konzeptuellen Ideen sichtbar wird.
In der gegenwärtigen Kunstwelt ist künstlerisches Schaffen oft mit sozialen oder politischen Fragen verknüpft. Kunst muss jedoch nichts sein und kann alles sein, was zu einer immensen Vielfalt führt, wenn wir dies zulassen. Obwohl die Ausstellung auf den ersten Blick um die titelgebenden Begriffe farbe, fläche, form zu kreisen scheint, geht es im Kern um Künstler*innen, die sich intensiv mit der Entstehung malerischer Bildwerke und den dahinterstehenden Prozessen auseinandersetzen.
Hier steht L‘art pour l‘art im Vordergrund – Kunst um der Kunst willen.
Bremermann kreiert Werke, die sich im spannungsvollen Raum zwischen Tafelbild und Skulptur bewegen. Durch die Verwendung von unterschiedlichen Wekstoffen wie Holz, Papier oder Kunststoff entstehen Arbeiten, die sowohl konzentriert und entschieden als auch frei und eigen sind. Diese Werke reflektieren eine ständige Auseinandersetzung mit traditionellen Kunstformen und eröffnen neue, eigenständige Bildwelten.
Jay Gard hingegen arbeitet konzeptionell und beschäftigt sich mit dem Bauen und der menschlichen Kreativität. Durch die Integration von Details aus der Kunst-, Design- und Architekturgeschichte sowie dem Stadtraum schafft er Werke, die neue Perspektiven und Formen eröffnen. Seine Arbeiten sind ein Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Emotion und Technik.
Maren Krusches Gemälde sind Momentaufnahmen eines unaufhörlichen Wandlungsprozesses. In ihren Werken ist das Entstehen und Auflösen des Bildes untrennbar miteinander verbunden, wodurch eine seltsame Transparenz und ein Balanceakt des Sehens entstehen. Diese Augenblicksbilder fangen flüchtige Momente der Wahrnehmung ein und lassen sie in ständiger Veränderung erscheinen.
Franziska Reinbothe erforscht die verborgenen Aspekte der Malerei, indem sie die Leinwand als Material neu interpretiert. Ihre Werke, die oft in den Raum hineinragen oder sich von der Wand lösen, brechen mit konventionellen Vorstellungen von Malerei und stellen die Materialität und den Entstehungsprozess in den Vordergrund.
Nicola Staeglich arbeitet mit transparenten und transluzenten Bildträgern, um Farbe in einem Zwischenzustand von physischer Präsenz und atmosphärischem Strahlen zu zeigen. Mit großen Pinseln erzeugt sie verschiedenste Farbintensitäten und Strukturen, die das emotionale und assoziative Potenzial von Farbe erforschen und unsere Wahrnehmung hinterfragen.
Antje Taubert spielt in ihrer Werkreihe Interferenz mit Farben und nutzt ihre Palette als Labor. Indem sie Farbflächen scheinbar zufällig und ungeordnet aufeinandertreffen lässt, löst sie die geometrische Harmonie früherer Werke auf. Die daraus entstehenden mutigen, ungeplanten Strukturen treten aus der Fläche hervor, bilden Räume und assoziieren bekannte urbane Strukturen.
Anthony Werner entwickelt seine Bildinhalte aus Zeichnungen und bringt sie in einer direkten Malweise auf die Leinwand. Diese Methode verdeutlicht seine Entscheidungen und erfordert eine großzügige Handhabung der Materialien. Die entstehenden Gemälde sind ein Wechselspiel zwischen ordnender Freiheit und naturhaften Prozessen, die den kreativen Akt selbst thematisieren.
Diese Ausstellung verdeutlicht nicht nur die Vielfalt und Tiefe abstrakter und ungegenständlicher Malerei, sondern zeigt auch, wie diese Kunstwerke im Dialog mit ihrer Umgebung und den Betrachter*innen stehen.
Gruppenausstellung „Raumwelten“, Rathaus-Galerie Reinickendorf, Berlin, 15.05. – 06.09.2024
Berliner Morgenpost, 29.05.2024
… Es geht um verschiedene Konzepte von Raum – ein Begriff, der sowohl in den Geo- als auch den Kulturwissenschaften ein sehr weites Spektrum umfasst. „Wir haben den Begriff bewusst sehr eng definiert und ausschließlich auf urbane Raumstrukturen bezogen“, erläutert Ricarda Vinzing. Dabei herausgekommen ist eine Ausstellung, die acht sehr unterschiedliche Positionen zeitgenössischer Künstler vermittelt, die sich alle mit Städtebau, mit verschiedenen Konzepten von Raum auseinandergesetzt haben. „Das verbindende Element der ausgestellten Arbeiten ist die Architektur“, sagt Kuratorin Vinzing, „entweder als prägendes Element des urbanen Raumes, als Grundlage für konstruktive Kompositionen oder als Ausdruck gesellschaftlicher und politischer Zustände“. …
… Aus geometrischen, sich überlagernden Elementen zusammengesetzt, schafft Antje Taubert in ihrer Malerei abstrakte Farbräume. Die einzelnen Elemente scheinen geradezu aus der Leinwand herauszutreten. „Die Bilder haben dadurch eine hohe Präsenz im Raum“, betont Ricarda Vinzing. …
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Neuköllner Kunstpreis 2023
STADT UND LAND vergibt Sonderpreis an die Künstlerin Antje Taubert
Im Rahmen der diesjährigen Verleihung des Neuköllner Kunstpreises hat die STADT UND LAND-Wohnbauten-Gesellschaft mbH das siebente Mal in Folge einen Sonderpreis vergeben. Das Kunstwerk „Barockisierende Abweichung“ von Antje Taubert greift Begrifflichkeiten der futuristischen Literatur auf und lässt daraus eine eigene extraterrestrische Landschaft entstehen. Die Künstlerin arbeitet in Bauhaus-Ästhetik mit klaren geometrischen Formen, die sie mittels Schablonentechnik immer wieder bricht und dadurch den Effekt einer künstlich gestalteten Oberfläche erwirkt. Die entstehende Landschaft erinnert an eine retrofuturistische Bühne, auf der die menschliche Existenz keine vordergründige Rolle mehr spielt.
Nominiertenausstellung zum Neuköllner Kunstpreis 2023
Galerie im Saalbau Neukölln, Berlin
Infotext der Jury des Neuköllner Kunstpreises 2023 zum Ausstellungsbeitrag Barockisierende Abweichung (2021-22, Öl auf Leinwand, 180x230cm)
In den Zeichnungen und Gemälden der Künstlerin Antje Taubert zeigt sich ihr Interesse an mathematischen Themen, Landschaftsformationen, Architektur und Geometrie. Inspirationsquellen für ihre Arbeiten sind häufig Literatur oder Musik.
Für ihre Malerei Barockisierende Abweichung nahm Antje Taubert den Science-Fiction-Roman Solaris des polnischen Autors Stanisław Lem aus dem Jahr 1961 als Ausgangspunkt.
Vor allem die bildlichen Beschreibungen des intelligenten Ozeans, der den Planeten Solaris fast vollständig bedeckt und mit dem die Menschheit versucht, Kontakt aufzunehmen, faszinierte sie. Die Künstlerin zerlegte analytisch das Buch, sammelte und ordnete einzelne Wortfindungen und Zitate, insbesondere die Passagen über die ungewöhnlichen Ausformungen und Spiegelungen des Ozeans und die zahlreichen, detaillierten Farbbeschreibungen. Das Gelesene übersetzte die Künstlerin intuitiv in Form und Farbe.
Ihr Bild Barockisierende Abweichung setzt sich durch geometrische Grundformen zusammen – Kreise, Dreiecke, Rechtecke und Kurven, die sich überlagern und ineinander verschachteln. Es entstand eine Räumlichkeit, in der sich die gleichmäßigen Flächen aufzulösen und aufzubrechen scheinen. Die vielen Farbverläufe, Streifen und Farbabstufungen muten wie Spiegelungen oder Unschärfen an, die Formen wie mechanische Maschinenteile, herumfliegender Weltraumschrott oder ineinandergreifende Zahnräder.
Antje Tauberts Malerei entstand vor dem Hintergrund komplexer Fragestellungen wie der Eroberung des Weltraums und des Versuchs einer Kontaktaufnahme zu außerirdischem Leben, und lässt durch seine Abstraktion und Vielschichtigkeit Spielraum für die Gedanken und Assoziationen der Betrachtenden.
double track – Farbe und Geometrie
Ein Essay von Dr. Gabi Ivan, 2020
Antje Taubert ist eine naturwissenschaftlich-geometrisch interessierte Künstlerin. Sie betrachtet Wirklichkeitsphänomene mit einem besonderen analytischen Blick, zerlegt deren Baupläne und Bausteine, um diese später vom Wahrgenommenen und Erkannten in eine übergreifende und unabhängige ästhetische Ordnung aus Farben und Formen zu übersetzen. Das ist ein Ergebnis von Gedanken, Assoziationen und Intuitionen, die sich zwischen vorausgegangener oder begleitender Zeichnung und dem späteren Leinwandbild abspielen.
Nach zwei Jahrzehnten konzentrierter Arbeit stromerte Antje Taubert auf zahlreichen Wegen und Nebenwegen, die sich niemals als Sackgassen erwiesen, sondern eher als Etappen eines Werdegangs. Ihre jüngsten Arbeiten, die sich durch eine imposante Melange von abstrakter Komposition und malerischer Lebendigkeit auszeichnen, zeugen von Sicherheit und Reife der Künstlerin.
Anfangs speisten sich Tauberts Bildmotive aus kulturellen und alltäglichen Erscheinungen. Themen wie Haus und (Ideal-)Landschaft, Heimat, Identität, Märchen und Folklore, Orte, Häusertypen, gebrauchsgrafische oder historische Objekte behandelte sie in seriellen Werkgruppen.
Aus jeder dieser geschlossenen Bilderserien sprang ein Funke in die nächste über – Stufe für Stufe in Richtung Abstraktion – bis die bisherigen Stimulanzien aus dem Erlebten und Gesehenen hinter den Bildordnungen verschwanden, sodass sie für den Betrachter weder erkennbar und noch zu enträtseln waren. Von sehr klaren, farbreduzierten Flächen und aufgeräumten Kompositionen bis hin zu opulenten kaleidoskopischen, farbenfreudigen Ornamenten und geometrischen Strukturen reichte das Spektrum, das diversen Anregungen folgte: So lenkten Science-Fiction-Autoren wie Stanislaw Lem, Jules Vernes oder Karel Zeman Tauberts Interesse auf die Welt des Kosmos und auf dessen Strahlenmodelle – ihre Serie Orbit reagierte darauf mit runden und konzentrischen Formen. Beflügelt von den Werken Hilma af Klints bewegten Taubert zudem auch verstärkt philosophische und fortschrittskritische Fragen und Weltzusammenhänge.
Die Reihe der Interferenzen setzte ab 2018 dann einen Höhe- und Umschlagspunkt, der der Künstlerin für ihr weiteres Schaffen Türen öffnete: zu neuen asymmetrischen, zuweilen monumentalen Bildfiguren und Kompositionen, zu neuen vitalen Farbgebilden, die sich pulsierend bewegen oder im Bildraum zu schweben scheinen und die das Phänomen der Interferenz, der Schwingungsüberlagerung, glaubwürdig und nachvollziehbar darstellen.
Als Impulsgeber für diesen regelrechter Bilderschwarm erwies sich das Ölgemälde INTERFERENZ IV von 2018/19 – es soll deshalb hier näher besichtigt werden:
Vor dem Betrachter baut sich eine wuchtig und raffiniert komponierte Bildwand auf. Ins Zentrum stürmen in schrägen Kaskaden geometrische Flächen – Parallelogramme, unregelmäßige Figuren, unvollkommene, mit kleinen Anschnitten versehene Dreiecke – ein Ausblick auf ein schwer einzuordnendes, dramatisches Geschehen. Alle diese Figuren sind durch winklige Linien und flächige Streben an den Rändern nicht nur markiert, sondern auch sichtlich lädiert. Sie scheinen in Bewegung, in heftigem Kampf mit- und gegeneinander. Selbst das Quadrat, das am oberen Rand angeschnitten nur noch auf einer Ecke balanciert, ist von den energischen Strömungen erfasst. Am linken Bildrand dirigiert ein starker Formenkeil die von rechts antosende Flut. Kraftvolle, satte bis dunkel-kühle Mischfarben setzen die Bildfläche in Spannung. Zudem verunklaren sie über dem bräunlichen Grund optisch die symmetrische Spiegelung der oberen und unteren Bildhälfte.
Und dennoch ist das ganze Gemälde ein ausgewogener, ausgeklügelter Organismus, der uns ausgleichend und doch chaotisch und beunruhigend erscheint. Wir sehen divergente Räumlichkeiten und möchten ein Auf- oder Zurückklappen der Formen wahrnehmen. Die Bildoberfläche wird illusionistischer Spielraum, die Eindrücke bleiben nicht statuarisch, sondern kurzzeitig wie ein Flimmern am Firmament.
Dieses Gemälde markiert einen Glanz- und Höhepunkt nicht nur der Bildergruppe der Interferenzen, sondern in Tauberts Schaffen überhaupt.
Ein Blick auf jüngste Zeichnungen
Bis heute wurden und werden die Gemäldegruppen von Zeichnungsserien vorbereitet bzw. begleitet. Gegenwärtig aber wandelt sich das Arbeiten auf Papier, erlangt zunehmend Eigenständigkeit. Die zumeist kleinformatigen Zeichnungen und Aquarelle gehen nun über die Funktion von Vorstudien hinaus, werden zu Keimzellen der Malerei-Serien. Zeichnen ist für Taubert ein grundlegendes Bedürfnis. Insbesondere die Aquarellblätter nähern sich farblich immer stärker den Leinwandbildern an. Deshalb abschließend ein Blick auf drei Serien.
Afrika
Die Afrika-Blätter (2017) können als Farbstudien für die inzwischen auf gut vierzig Bilder angewachsene Gemäldereihe der Afrika-Tagebücher (2017/18) gelten. Sie gehen auf die Reise Tauberts 2017 nach Südafrika zurück. Beide Bildreihen fangen die in kräftigen Farben erlebte und erinnerte Stimmung vieler tageszeitlicher Veränderungen ein – auch das Leuchten traditioneller Textilien, das Schimmern von Früchten, das Fell- oder Federkleid der Tiere etc. – so wie sie in der Erinnerung widerhallten.
Auf den genauso radikal abstrahierten Leinwänden wird dann eine zentrale Hauptfarbe durch Rahmungen und Markierungen Ton in Ton oder kontrastreich kommentiert – geradezu exzellent! Dieses noch nicht beendete „Tafelwerk“ in den Farben Afrikas, die alle konkreten Wahrnehmungen überdauern, ist ein „Reisefarbenbuch“ geworden.
Venedig
Im Jahr 2018 fertigt Antje Taubert ein größeres Konvolut von Tintenzeichnungen – die Venetian Blinds: in prächtigen Farbmixturen innerhalb gerundeter, sowohl angeschnittener wie auch geschlossener Formen, schwebend und streng geordnet, dafür sich durchsichtig und lichtvoll in immer neuen Farbüberschneidungen sich austauschend. In ihrem Davor und Dahinter bewegen sich die Ovale, die an Zellformationen oder Kapseln erinnern, in unbestimmten, offenen Bildräumen – ein Ballett der Farben. Zuweilen bilden transparente Tinten wolkige Haufen oder changieren malerisch zwischen Hell und Dunkel innerhalb eines Spektrums. Auch farbige Konturen und gegenläufige Kompositionen, Halb- und volle Kreisformen sind zu beobachten.
Es ist erstaunlich und beeindruckend, wie Antje Taubert Anstöße aus der erlebten Wirklichkeit – in diesem Fall die kunterbunten textilen Draperien über den engen Gassen der Lagunen-Stadt – in eine ausgewogene und kraftvolle vitale Ordnung transformiert, die alles Banale hinter sich lässt. In Folge dieser aquarellierten Blätter entstanden bisher keine Ölbilder auf Leinwand.
Faltungen
In 2019 zeichnet die Künstlerin in Verbindung mit bislang vier Ölgemälden 16 Blätter in Blei- bzw. Farbstift zum Thema Falten. Vor allem die farbig gefassten Faltungen, Linienbündeln zugeordnet, breiten sich raumbildend aus – fächerartig oder parallel pulsierend und vibrierend. Gekrümmte parallele Lineaturen unterlaufen die landläufigen Vorstellungen von Faltungen. Konkave Formen schweben einzeln – ein Ingenieur mag an schaufelgeometrisch berechnete Formen denken.
Die Ölbilder dagegen entbehren jeder tänzerischen Leichtigkeit. Asymmetrische, auch gegenläufige Faltenwürfe und aggressiv-changierende Farbigkeit vermitteln eher Botschaften der Unberechenbarkeit und der Störung. Wild und brachial beharren sie auf ihrem Eigenleben.
*
In einem kämpferischen Ungehorsam siegen in Antje Tauberts gegenwärtigem Schaffen die Farben über die geometrischen Grundgerüste. Die wiederum wehren sich mit spitzigen Gitter- und Rasterzellen und geben die Kontrolle über das Bildgeschehen nicht verloren. Oder einzelne Formen agieren losgelöst von einem Verbund. Dieser Streit um Balance und Dominanz findet seine Entsprechung – wenn man so will – in ähnlichen Spannungen, denen unser aller soziales und individuelles Leben ausgesetzt ist. Insofern wären die jüngsten Werke von Antje Taubert auch als in weitestem Sinne Äußerungen zur Zeit, als Ausdruck eines Zeitgefühls, anzusehen.
Codierte Erinnerung
von Kathrin Schrader
Laudatio zur Vernissage von „Neue Coloraturen“ in der Galerie 100, Berlin, 2019
Antje Taubert liebt Farbe. Sie spielt mit den Farben, sie sucht und forscht, die Palette ist ihr Labor, doch auch die Leinwand und das Papier, auf dem sie Farben komponiert, lasierend übereinanderlegt oder gegeneinander schneidet, Harmonien und Hierarchien entwickelt, kurz: auf denen sie Farbe inszeniert. Auf den großen Auftritt der Farbe verweist auch der Titel der Ausstellung „Neue Coloraturen“, sowie auf ihr Tönen und Schwingen. Antje Taubert feiert die Farbe.
Sie arbeitet am liebsten mit Öl, sie mag die Konsistenz. Sie sagt, diese entspreche ihrer langsamen Arbeitsweise. Sie liebt die Tiefe und den Glanz der Ölfarben.
Das Afrikanische Tagebuch entstand nach einer fünfwöchigen Reise der Künstlerin durch Südafrika. Die einzelnen „Blätter“ erinnern an Bilderrahmen oder Buchseiten, vielleicht auch Postkarten, Formate jedenfalls, auf denen wir Reiseerinnerungen gewöhnlich austauschen. Dennoch ist dieses Tagebuch für uns ungewohnt zu lesen. Wir sind an die täglichen Fluten beeindruckender Reiseberichte gewöhnt, die Bilder von Bergen und Meeresstränden, Architekturen, Menschenbildnisse und Tierbeobachtungen, auch Interieurs von Hotels und Bars. Je spektakulärer die Fotos und Filme, desto länger verweilen wir davor. Und Verweildauer ist in der Welt des andauernden und oberflächlichen Medienkonsums zu einer wichtigen Maßeinheit geworden.
Und dann finden wir uns in einer Galerie vor einem Reisetagebuch wieder, dessen leuchtende Farben uns zwar anziehen, doch deren Seiten im Grunde leer sind. Die Kontraste, Harmonien und Brüche fesseln uns. Hier und dort taucht eine Form auf, ein Bild oder Symbol. Es wiederholt sich. Einige Blätter sind in Farbfelder geteilt. Dennoch wissen wir am Ende nicht, was die Malerin in Afrika gesehen hat. Ihre Erlebnisse sind vollkommen in Farbe abstrahiert.
Und dieses: Erinnerungen in Abstraktion auflösen, ist im Werk von Antje Taubert nicht neu. Vor einigen Jahren hat sie eine Bildserie geschaffen, in der sie Ansichtskarten mit Gebäuden und Landschaften aus der Zeit ihrer Kindheit auf Farbflächen reduzierte, sodass die auf der Postkarte gezeigten Orte nun nicht mehr zu identifizieren sind. Auch Titel wie „Geburtshaus“ oder „Platz“ sind eher undeutlich. Antje Taubert hat ihre Erinnerungen in eine Bildsprache codiert, die nur sie selbst oder Eingeweihte lesen können. Auf diese Weise schützt sie ihre persönlichen Erinnerungen vor fremden Zugriff. Die Orte, die jeder besichtigen darf, machte sie zu verborgenen Orten. Antje Taubert verbirgt die Erinnerungs-Bilder im Afrikanischen Tagebuch vor uns. Wir können ihr dennoch auf die Reise folgen. Doch Vorsicht! Hier geht es nicht um Klicks und Likes! Verweilen Sie vor diesen Tagebuchseiten! Schauen Sie genau hin! Dann werden Sie Ihren eigenen Gedankenfluss erfassen und den eigenen Assoziationen und Erlebnissen lauschen.
Eine Künstlerin, deren Thema die Farbe ist, nimmt die Herausforderungen der Farbe an. Antje Taubert wollte ein gelbes Bild malen. Gelb habe sie schon immer interessiert, erzählt sie im Atelier, weil es energetisch eigentlich stärker als Rot sei, dennoch sehr hell, eher schwierig. Das „gelbe Bild“ finden sie im hinteren Raum, es gehört zur Serie „Krümmungen“. Antje Taubert hat ihr „gelbes Bild“ der schwedischen Malerin Hilma af Klint gewidmet, deren Werk in den letzten Jahren wiederentdeckt wurde. Die runden Formen, die „Krümmungen“ erinnern an die großen, geometrischen Blütenmotive der für ihre Zeit ungewöhnlichen Malerin.
In der Werkreihe Interferenz lässt Antje Taubert Farbflächen scheinbar zufällig, ungeordnet, gebrochen aufeinandertreffen und löst damit die streng geometrische Harmonie früherer Werkserien auf. Die mutigen, ungeplanten Strukturen der Überlagerungen und Zusammenstöße treten aus der Fläche, sie klappen auf, bilden Räume und assoziieren bekannte urbane Strukturen.
Nicht zuletzt möchte ich noch einige Worte zu den Zeichnungen von Antje Taubert sagen. Das sind die leuchtenden Tuschezeichnungen auf Papier, die Reihe „Venetien blinds“, deren Form von Jalousien oder Markisen inspiriert ist. Antje Taubert hat an der Kunsthochschule Weißensee studiert. Sie war Meisterschülerin des Zeichners Hanns Schimansky. Zeichnend begab sich Antje Taubert nach dem Studium auf ihren künstlerischen Weg. Die Reduktion auf das Wesentliche, die Entdeckung von Strukturen und die Begeisterung für die Wirkung der Farben führte sie bis hierher, zu den „Neuen Coloraturen“. Antje Taubert wagt sich immer weiter in die Befreiung des Ausdrucks. Wie bei wenigen Künstlern lässt sich dieser Werdegang in ihren Werkgruppen Schritt für Schritt nachverfolgen.
Das Etikett „Konkrete Kunst“ lehnt sie ab, denn die eigene, unverwechselbare Handschrift ist ihr wichtig, was die Jury des André-Evard-Kunstpreises für Konkrete Kunst jedoch nicht daran hinderte, sie zweimal, 2010 und 2018, für den Preis zu nominieren.
Firmament der Farben
Ein Essay von Dr. Gabi Ivan, 2015
Haus und Landschaft, Heimat, Identität, Märchen und Folklore – das sind Themen, denen sich die Malerin und Zeichnerin Antje Taubert eigenwillig und ergreifend widmet. Konkret sind das Gebrauchsgegenstände, Häusertypen, Konsumartikel, historische Objekte oder Lektüren. Antje Taubert erobert sie sich durch intensives Zeichnen, immer dicht an den realen Erscheinungen. Diese sehr lebendigen, handschriftlichen und farblich schwingenden Zeichnungen zielen immer auf die wesentliche, geradezu zeichenhafte Erscheinung von Gebäuden, Gebirgen, Gestaltetem etc. Sie „reißt“ – mit Dürers Wort – ihre Motive aus allen erzählerischen Zusammenhängen „heraus“, konzentriert sich auf charakteristische Formen und Farben.
Diese kehren in den Gemälden wieder – streng analytisch und dabei gleichsam übersetzt in eine neue Ästhetik, in eine völlig andersartige Darstellungsweise. Antje Taubert bevorzugt in der Malerei Farb- und Formextrakte, die sich vom Gesehenen weit entfernt haben und eine strukturierte Welt voller Harmonie und farbigem Licht erzeugen. Ihre Gemäldegruppen zu den jeweiligen Themen scheinen nicht nur geometrisch geordnet, sondern mathematisch umgedeutet und neu beseelt.
Insbesondere aus ihrer jüngeren Werkgruppe „Moskauer Konfekt“, die Dekore von Bonbon- und Schokoladenpapieren der 1930er Jahre aus Moskauer Schokoladenfabriken wie „Krasnyj Oktjabr“ oder „RotFront“ aufgreift, ist ein großes Konvolut von Gemälden mit geometrischen Figurationen erwachsen. Daß schon bald die suprematistischen und konstruktivistischen Gestaltungsprinzipien in der Sowjetunion in viele Bereiche der Gestaltung vom politischen Plakat bis zum Kunstgewerbe und Verpackungsdesign drangen, ist auch Ergebnis der kunstpolitischen Förderung sog. Künstler-Dekorateuren. Antje Taubert reinigt die Konfekt- und Bonbonpapiere von allen typografischen und bildhaften Zutaten, die in den 1930er Jahren diese einst revolutionären Gestaltungsprinzipien verunklart und foklorisiert haben. Sie reduziert auf ein zeitlos geometrisches Gerüst farbiger Elemente. Es holt die einmal bahnbrechende Radikalität der Künstler wieder hervor und schlägt zugleich eine Brücke in die digital dominierte Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts mit ihren kulturellen und sozialen Folgen für Wahrnehmung und Ästhetik.
Entstanden sind kühlfarbige Gemälde, deren quadratische Flächen durch opulente geometrische Figuren und Formentwicklungen vermessen werden.
Diese oft großformatigen Bilder weisen keine Gemeinsamkeiten mehr mit den vorbereitenden und wegweisenden kleinen Zeichnungen auf. Geometrische Formen breiten sich wellenförmig aus, staffeln und überlagern sich. Alle basieren auf Quadrat, Dreieck und Kreis – das ist Schönheit der Geometrie ganz ohne Mystik und Transzendenz, aber voller lichter Weite und Heiterkeit. Russischgrün, Rot, Blau, Gelb – es ist ein Fest aus diagonalen und seitenverkehrten Symmetrien der feingestuften Farben. Diese bringen die zentrierten Kompositionen in Bewegung, ins Rotieren. Ihre Energien überfluten die Bildränder. Radikal vereinfacht, vielfach multipliziert und monumental überführt Antje Taubert die Elemente der realen Einwickelpapiere in eine neue ästhetische Existenz als Tafelbilder – kraftvoll, klar und festlich.
Mit „Moskauer Konfekt“ läßt Antje Taubert – wie schon mit vorhergehenden Bilderzyklen – den ursprünglichen Realitätsbezug hinter sich und betritt das Areal der Konkreten Kunst. Mit kleinen dunkeln, sehr malerischen Bildquadraten im Atelier vergewissert sie sich aber bereits des nächsten Neubeginns und der nächsten Form- und Farbmetamorphose.